Sonntag, 12. Februar 2023

J. K. Rowling über Gender und Geschlecht

Eine Blog-Lektüre 

 

«So unterstützte Rowling 2019 eine Frau, die ihren Job verloren hatte, da sie sich transfeindlich geäußert hatte. 2020 machte sich die Autorin erneut auf Twitter über die Formulierung ‹Menschen, die menstruieren› lustig. Man solle doch einfach von Frauen sprechen, forderte sie.»

ZDF.de am 4. 2. 2023 bei Gelegenheit des Erscheinens des Computerspiels «Hogwart’s Legacy»

 

Mit ungläubiger Verwunderung nehme ich gerade wieder zur Kenntnis, dass in den allermeisten Zeitungen, die ich eigentlich für lesenswert halte, sowie im Öffentlich-Rechtlichen samt Bildungsauftrag die Autorin Joanne K. Rowling mit großer pawlow’scher Zuverlässigkeit als «transfeindlich» verbellt wird. Wissen diese Leute und TERF-ologe Böhmermann eigentlich, was sie da reden? Könnten sie wohl angeben, was genau sie mit «transfeindlich» meinen? Und sie selbst wären alle «transfreundlich»? Und wie äußert sich diese Freundlichkeit? Durch haltlose Verunglimpfungen einer Autorin, deren Texte zum Thema «Sex» und «Gender» sie ganz offensichtlich nie gelesen haben? Brav. So geht Journalismus. 

 

Ich will mich nicht als Experte aufspielen. Aber ich habe aus gegebenen Anlass Rowlings Blog-Text vom 10. Juni 2020 auf ihrer Website gelesen. Das könnten natürlich auch alle die Hexen- bzw. TERF-Jäger (m/w/d) tun. Aber vermutlich können die meisten dann doch nicht so gut Englisch (keine Schande), und dann liest man erst recht oberflächlich und pickt sich nur vermeintlich verräterische Rosinen heraus. Deswegen habe ich einige der entscheidenden Passagen ins Deutsche übertragen und moderiere einfach von Stelle zu Stelle.

 

Rowling beginnt mit dem Fall Maya Forstater, einer englischen Steuerexpertin, die 2019 ihre Arbeitsstelle verlor, weil sie vorgeblich «transphobe» Tweets veröffentlicht hatte. Sie hatte geschrieben: «Die gesetzliche Definition von ‹Frau› so weit auszudehnen, dass sie Männer einschließt, macht die Kategorie ‹Frau› bedeutungslos und wird Frauenrechte und den Schutz von Frauen und Mädchen untergraben.» Sowie: «Ich akzeptiere die Gender-Identität eines jeden, ich glaube nur nicht, dass Menschen ihr biologisches Geschlecht ändern können.» Sie klagte daraufhin und erhielt in zweiter Instanz recht in der Frage, ob es eine mit dem Gesetz konforme Ansicht sei, dass das Geschlecht biologisch determiniert ist.

 

Zu dieser Zeit, so Rowling, beschäftigte sie sich selbst bereits seit zwei Jahren mit dem Thema, weil sie an einer Krimi-Reihe arbeitete, deren Heldin eine junge Frau war, die sich auch mit dem Thema «Gender» auseinandersetzen sollte. – Hören wir, wie es weitergeht:

 

Während ich mich noch über das Thema schlau machte, tauchten in meiner Twitter-Timeline zunehmend Anschuldigungen und Drohungen auf. Ausgelöst worden waren sie durch ein «Like». Seit ich angefangen hatte, mich für Trans-Themen zu interessieren, hatte ich es mir angewöhnt, Screenshots zu machen von Kommentaren, die ich interessant fand. In einem Fall hatte ich geistesabwesend auf «Like» geklickt, statt ein Bildschirmfoto zu machen. Dieses eine «Like» war Beweis genug für meine falsche Gesinnung. Ein noch harmloser, aber nicht abreißender Strom von vorwurfsvollen Kommentaren setzte ein.

 

Einen Monat nach diesem unverzeihlichen «Like», setzte ich mich vollends in die Nesseln, als ich begann, Magdalen Berns bei Twitter zu folgen. Magdalen war eine unglaublich tapfere, junge Frau und Lesbe, die an einem aggressiven Hirntumor litt und im Sterben lag. Ich folgte ihr, weil ich zu ihr persönlichen Kontakt aufnehmen wollte, was mir schließlich auch gelang. Wie auch immer. Da Magdalen der festen Überzeugung war, dass das biologische Geschlecht «zählt» und weil sie der Ansicht war, dass man Lesben nicht «Heuchlerinnen» nennen sollte, nur wenn sie keine Dates mit Trans-Frauen mit Penissen haben wollten, war der Fall für die Trans-Aktivisten auf Twitter klar, und sofort gingen die Wogen der Social-Media-Empörung hoch. [...] Ich musste mir vorhalten lassen, ich würde buchstäblich Trans-Personen töten mit meinem Hass, ich wurde als Schlampe und Fotze beschimpft.

 

Rowling zieht sich für mehrere Monate von Twitter zurück, um der eigenen psychischen Gesundheit willen. Als sie sich wieder zurückmeldet, weil sie in der Zeit der Pandemie ein neues Kinderbuch vorab zur Gratis-Lektüre anbieten will, geht es sofort wieder los. Vor allem der Begriff TERF kommt jetzt zum Einsatz:

 

Falls Sie nicht wissen, was das heißt (warum sollten Sie auch?): TERF ist ein von Trans-Aktivisten gebildetes Akronym und steht für «Trans-Exclusionary Radical Feminist» [Trans-ausschließende radikale Feministin]. Immer mehr Frauen aus den verschiedensten gesellschaftlichen Schichten werden inzwischen TERFs genannt und die überwiegende Anzahl von ihnen war nie radikal feministisch. Die Palette der TERFs reicht von der Mutter eines schwulen Sohns, die Angst hat, dass ihr Sohn sich einer operativen Transition unterzieht, weil er dem schwulenfeindlichen Mobbing entgehen will, bis zu der bis dato gänzlich unfeministischen alten Dame, die verkündet, nicht mehr bei Marks & Spencer einzukaufen, weil man dort Männern, die sich selbst als Frauen definieren, gestatte, in die Frauenumkleiden zu gehen.

 

Rowling stellt sich und uns die Frage, warum sie das tut. Warum äußert sie sich öffentlich? Warum setzt sie nicht einfach ihre Recherchen fort und hält den Mund. Der Grund: Die Trans-Aktivitäten betreffen sehr konkret Rowlings Aktivitäten im charitativen Bereich. Sie hat eine Stiftung gegründet, die Menschen in prekären Verhältnissen in Schottland hilft, mit besonderer Berücksichtigung von Frauen und Kindern, unter anderem Frauen in Gefängnissen und Betroffene von häuslicher Gewalt und sexuellem Missbrauch. Sie hat eine weitere Stiftung ins Leben gerufen, die die Ursachen der Krankheit MS untersucht, die bei Männern und Frauen einen ganz unterschiedlichen Verlauf zu nehmen pflegt. Und da der aktuelle Trans-Aktivismus es darauf anlegt, die juristische Definition von Geschlecht aufzuweichen, wenn nicht aufzuheben und durch den Begriff «Gender» zu ersetzen, würde das direkten Einfluss auf viele Bereiche haben, in denen sich Rowling für Frauen und Kinder engagiert, und, so Rowling, nicht zum Vorteil dieser Frauen und Kinder. – Weiter Rowling:

 

Sorgen macht mir vor allem der rasante Anstieg der Zahlen von jungen Frauen, die sich einer operativen Transition unterziehen wollen und auch die zunehmende Anzahl derer, die eine De-Transition anstreben (also zu ihrem ursprünglichen Geschlecht zurückkehren wollen), weil sie den Schritt, den sie gegangen sind, bereut haben, der in einigen Fälle zu irreversiblen Schäden geführt hatte, wie zum Beispiel Unfruchtbarkeit. Einige sagen, sie hätten sich für die Transition entschieden, nachdem sie realisiert hätten, dass sie homosexuell seien, und dass die Transition sich zum Teil der Angst vor Homofeindlichkeit verdanke, allgemein in der Gesellschaft oder in ihren Familien.»

 

Rowling weist auf die Tatsache hin, dass noch vor zehn Jahren, die meisten Menschen, die eine Geschlechtsumwandlung anstrebten, Männer waren. Die Verhältnisse habe sich inzwischen umgekehrt. Die Zahl der Mädchen, die sich einer geschlechtsangleichenden Behandlung unterzogen haben, ist im Vereinigten Königreich um über viertausend Prozent gestiegen. Autistische Mädchen seien dabei überproportional stark vertreten. 

 

Die US-amerikanische Ärztin und Forscherin Lisa Littman hatte dieses Phänomen 2018 in einer Studie als «Rapid Onset Gender Dysphoria» («plötzlich einsetzende Geschlechtsidentitätsstörung») bezeichnet. Die Studie wurde vor allem von Trans-Aktivisten kritisiert (um es freundlich auszudrücken), deren zentrale These war und wohl ist, dass die Gender-Identität eines Menschen angeboren sei wie die sexuelle Orientierung. Dass man durch gesellschaftlichen Druck zur Geschlechtsumwandlung gedrängt werden könne, war/ist aus Sicht der Trans-Aktivisten ganz undenkbar. Aber genau das glaubte Littman in den Beiträgen junger Menschen in den sozialen Medien und in persönlichen Gesprächen mit diesen und mit Eltern herausgefunden zu haben. Littman beschreibt in ihrer Studie, wie ganze Freundesgruppen sich plötzlich als Transgender indentifizierten. Davon wollten die Trans-Aktivisten allerdings nichts hören, die im Gegenteil die Auffassung vertraten, so Rowling, dass ein junger Mensch, dem man die Transition verweigere, mit Sicherheit Suizid begehe.

 

Rowling liest in der Folge viele Berichte junger Leute, die an Gender-Dysphorie leiden oder litten:

 

Je mehr von diesen Berichten ich lese, mit ihren detaillierten Beschreibungen von Angstzuständen, Dissoziationen, Essstörungen, von dem selbstverletzenden Verhalten, ihrem Selbsthass, je stärker drängt sich mir die Frage auf, ob ich, wenn ich dreißig Jahre später geboren worden wäre, nicht auch versucht hätte, mich einer Transition zu unterziehen. Die Verlockung dem Frausein entkommen zu können, wäre gewaltig gewesen. Als Teenager litt ich unter heftigen Zwangsstörungen. Hätte ich online eine Gruppe gefunden, Gleichgesinnte, die ich woanders nicht hätte finden können, ich glaube, man hätte mich leicht dazu bringen können, mich in Papas Sohn zu verwandeln, den er erklärtermaßen ohnehin lieber gehabt hätte.

 

Wenn ich Texte zum Thema Gender-Identität lese, muss ich immer daran denken, wie geschlechtslos ich als Jugendliche mental war. Die Schriftstellerin Colette hat von sich selbst als einem «mentalen Hermaphroditen» gesprochen, und ein Zitat von Simone de Beauvoir kommt mir in den Sinn: «Es ist nur natürlich, wenn die künftige Frau sich über die Beschränkungen entrüstet, die ihr Geschlecht ihr auferlegt. Die Frage, warum sie sie ablehnt, ist falsch gestellt. Das Problem besteht vielmehr darin zu verstehen, warum sie sie akzeptiert.» 

 

Da es damals in der 80ern ganz unrealistisch war, ein Mann zu werden, mussten also Bücher helfen und Musik, um zurande zu kommen mit meinen psychischen Problemen und vor allem mit dieser sexuell aufgeladenen Dauerkontrolle und Dauerkritik, die so viele Mädchen und junge Frauen einen Krieg gegen ihren Körper führen lässt. Ich habe zum Glück meine eigene Form des Anders-Seins gefunden, habe die Ambivalenz akzeptiert, die das Frau-Sein bedeutet, vermittelt durch die Texte von Schriftstellerinnen und durch Musik, die mir signalisierte, dass es – trotz der Zumutungen, die eine sexistische Welt dem weiblichen Körper auferlegt – okay ist, wenn man nicht «rosa» fühlt, wenn man sich nicht aufbrezeln will, sich in seinem Denken nicht anpassen will. Es ist okay, durcheinander und verwirrt zu sein, düster, sexuell und asexuell gleichzeitig, sich unsicher zu sein, wer man ist.

 

Um es ganz deutlich zu sagen: Ich weiß, dass eine Geschlechtsumwandlung für Personen, die an Gender-Dysphorie leiden, eine Lösung sein kann. Doch ich sehe gleichzeitig die Zahlen, die verschiedene, fundierte Studien ermittelt haben und die besagen, dass 60–90% der Teenager, die an Gender-Dysphorie leiden, diese ohne Transition überwinden. 

 

Man sagt mir: Triff dich mit Trans-Personen. 

 

Habe ich getan. Ich habe mich mit einigen jüngeren Leuten getroffen, die alle hinreißend waren. Vor allem aber habe ich eine sich selbst als transsexuell bezeichnende Frau kennengelernt. Sie ist älter als ich und einfach wunderbar. Obwohl sie offen von ihrer Vergangenheit als schwuler Mann berichtet, fällt es mir schwer, sie anders wahrzunehmen denn als Frau, und ich glaube (und ich hoffe es sehr), dass sie rundum glücklich damit ist, dass sie die Geschlechtsanpassung vorgenommen hat. Obwohl sie nicht mehr jung war, hat sie sich den notwendigen strengen Untersuchungen unterzogen, medizinischen Gutachten, Psychotherapie, dann die stufenweisen Eingriffe. 

 

Der gegenwärtige Trans-Aktivismus allerdings ist drauf und dran, alle erprobten Diagnoseinstanzen, die eine transitionswillige Person durchlaufen muss, abzuschaffen. Und ein Mann, der sich entschließt, keine Transition zu vollziehen und keine Hormone einzunehmen, kann sich einfach eine «Gender Recognition»-Urkunde ausstellen lassen und ist im Sinne des Gesetzes eine Frau. Vielen Leuten ist das nicht klar.

 

Die Zeit, in der wir leben, ist frauenfeindlich in einem Maße, wie ich es noch nicht erlebt habe. Damals in den 80ern hatte ich geglaubt, dass meine Töchter, wenn ich einmal welche haben sollte, es viel besser haben würden als ich. Aber ich glaube, seit dem antifeministischen Backlash und mit unserer heutigen pornografisierten Internet-Kultur ist für Mädchen alles nur noch schlimmer geworden. Frauen wurden noch nie derart erniedrigt und entmenschlicht wie heute. Das reicht vom «Führer der freien Welt», mit seinen bekannten sexuellen Übergriffen, seinem «grab them by the pussy»-Geprahle, über die «Incel»-Szene mit ihrem Hass auf alle Frauen, die ihnen nicht sexuell zu Willen sind, bis hin zu Trans-Fundamentalisten, die öffentlich verkünden, dass TERFs verprügelt und umerzogen werden müssen. Und Männer des gesamten politischen Spektrums scheinen einverstanden zu sein: Das sind Frauen, die Ärger suchen. Überall heißt es, setz dich hin und sei ruhig, und wehe, ich höre einen Mucks.

 

Ich habe all die Argumente gelesen von der Weiblichkeit im falschen Körper und dass biologische Frauen nun mal nicht die nötigen Erfahrungen hätten, und ich muss gestehen, ich finde auch dieses Gerede durch und durch frauenfeindlich und rückschrittlich. 

 

Ein weiteres Ziel der Verleugnung des biologischen Geschlechts scheint zu sein, die – für einige Personen offenbar unerträgliche – Tatsache zu unterminieren, dass Frauen ihre eigene biologische Realität haben, als wäre es ein beneidetes Privileg, das die Frauen darüber hinaus zu einer verschworenen politischen Klasse macht. 

 

Ich habe in den vergangenen Wochen Hunderte von E-Mails bekommen, die meine Befürchtungen teilen und mich bestätigen. Es reicht ganz offenbar nicht, dass Frauen sich mit Trans-Personen solidarisch erklären. Frauen sollen bekennen und akzeptieren, dass es keinerlei körperlichen Unterschied zwischen Trans-Frauen und ihnen selbst gibt.

 

Aber wie schon sehr viele Frauen vor mir gesagt haben: Frau-Sein ist kein Kostüm. Frau-Sein ist nicht die Idee im Kopf eines Mannes. Frau-Sein ist kein rosa Hirn, ist nicht auf «Jimmy Choos» stehen oder irgendeine andere sexistische Vorstellung, die gerade als progressiv gilt. 

 

Vor allem: Die «inklusive Sprache», die will, dass weibliche Personen «Menstruierende» genannt werden oder «Personen mit Vulva», empfinden viele Frauen als herabsetzend und entmenschlichend.

 

Ich verstehe, warum Trans-Aktivisten möchten, dass die Sprache neutral und freundlich ist, aber für diejenigen von uns, die verbal und körperlich brutal von Männern misshandelt wurden, ist die Sprache nicht neutral, sie ist ablehnend und entfremdend.

 

Soviel zum Stichwort «hassen». In der Folge weist die Autorin noch einmal auf einen heiklen Punkt hin: die eigene Gewalterfahrung in der ersten Ehe. Dass sie das tut, halte ich für besonders aufschlussreich und wichtig und zwar nicht nur im Sinne einer «street» (bzw. in diesem Fall «house») «credibility». Das auch. Ja, sie weiß, wovon sie spricht. Der Hinweis betrifft aber darüber hinaus auch allgemein unsere gegenwärtige Diskussions-Unkultur. Denn immer glauben wir, wir würden um bloße «Meinungen» streiten – oder auch um hehre «Ansichten». Doch jeder einzelne Mensch ist ein Bündel von Neurosen, von Ängsten vor allem, und natürlich von Wünschen und Sehnsüchten (die den Ängsten aber immer schon untergeordnet sind). Und während wir also für irgendeine objektiv richtige Sache zu streiten glauben, mit objektiven Argumenten, die doch kein Mensch, der noch alle Tassen im Schrank, anzweifeln kann, vergessen wir nur allzuleicht, dass es vor allem unsere Ängste, Wünsche und Sehnsüchte sind, die uns zu Anhängern bestimmter Weltbilder und vermeintlich objektiver Theorien werden lassen. Diese Einsicht diskreditiert in keiner Weise die Sache, für die wir streiten. Sie bewahrt uns aber davor, unseren Standpunkt für den einzig möglichen zu halten – und macht nebenbei begreiflich, warum es heute, in einer Zeit, in der wir armen Nervenbündel immer mehr vereinzeln, so schwer ist, Allianzen zu schmieden. (Geschlossen halten dummerweise gerade immer diejenigen die Reihen, die sich über jeden Zweifel erhaben glauben.)

 

Tut mir leid, der Exkurs war mir wichtig. Weiter bei Rowling. Es geht also um die Gewalterfahrung:

 

Wenn Sie in meinen Kopf sehen könnten und fühlen könnten, was ich fühle, wenn ich lese, dass eine Trans-Frau von den Händen eines Mannes misshandelt und getötet wurde, würden sie wissen, dass ich nichts als Mitgefühl und Solidarität empfinde. Ich kann das Grauen körperlich spüren, das diese Trans-Frauen in ihren letzten Sekunden auf Erden gespürt haben müssen, denn ich habe selbst Momente erlebt, wo mein Leben nur noch davon abhing, dass mein Angreifer sich im letzten Augenblick am ganzen Leib bebend zurückhielt.

 

Ich glaube, dass die meisten sich als Trans definierenden Personen nicht nur keinerlei Gefahr für andere darstellen, sondern dass sie vor allem selbst gefährdet sind, aus den genannten Gründen. Wie Frauen leben sie mit dem erhöhten Risiko, von ihren Partnern getötet zu werden. Trans-Frauen, die im Sex-Gewerbe arbeiten, vor allem Trans-Frauen of Colour sind noch einmal stärker gefährdet. Wie jede andere, die häusliche Gewalt und Vergewaltigung erlebt hat, fühle ich mit den Trans-Frauen, die von Männern misshandelt wurden.

 

Ich möchte deswegen, dass Trans-Frauen sicher sind. Gleichzeitig möchte ich aber, dass geborene Mädchen und Frauen nicht weniger sicher sind. Wenn man die Duschräume und die Umkleiden irgendeinem Mann öffnet, der glaubt oder fühlt, er sei eine Frau – und wie gesagt: die «Gender Confirmation»-Urkunde macht es möglich –, dann öffnet man diese Türen allen Männer, die durch diese Tür gehen wollen. Das ist die schlichte Wahrheit.

 

Die Autorin erwähnt ihre zweite Ehe, die ihr geholfen hat, über die Gewalterfahrung hinwegzukommen, eine Erfahrung, die sie aber gleichzeitig ihr Leben lang begleiten wird. Noch immer leidet Rowling zum Beispiel an extremer Schreckhaftigkeit. Dann erwähnt sie noch einmal die vermeintliche «Trans-Feindlichkeit»:

 

Keine Gender-kritische Frau, mit der ich gesprochen habe, hasst Trans-Personen. Im Gegenteil. Viele von ihnen haben sich für das Thema zu interessieren begonnen, weil sie sich Gedanken um jugendliche Trans-Personen gemacht haben, und sie sind voller Sympathie für die jungen Erwachsenen, die einfach nur ihr Leben leben wollen und die furchtbar verunsichert sind, durch einen Trans-Aktivismus, den sie nicht gutheißen können.

 

Zum Schluss kommt Rowling auf das Thema «Debatten-Kultur» zu sprechen und spielt auch noch einmal auf den mir wichtigen Aspekt an, dass wenn wir ernsthaft diskutieren wollen, wir uns auch in unseren Diskussionen als Individuen (okay, klingt besser als «Nervenbündel») wahrnehmen müssen und nicht, wie üblich, als bloße Vertreter eines erratischen Blocks der «Guten» (also ich und ein paar andere) und einem der «Bösen» beziehungsweise der Idioten:

 

Ich kann mich sehr glücklich schätzen. Ich bin eine Überlebende, wahrlich kein Opfer. Ich habe meine Vergangenheit nur erwähnt, weil ich, wie jeder andere Mensch auf diesem Planeten auch, eine komplexe Geschichte hinter mir habe, die für meine Ängste, meine Vorlieben und meine Ansichten verantwortlich ist. Ich lasse diese innere Komplexität nie außer Acht, wenn ich einen fiktionalen Charakter erschaffe, und ich lasse sie auch nicht außer Acht, wenn ich mich zu Trans-Personen äußere.

 

Alles, worum ich bitte – was ich mir wünsche – ist, dass das gleiche Mitgefühl, das gleiche Verständnis auch den vielen Millionen Frauen entgegengebracht wird, deren einziges Verbrechen es ist, dass sie ihren Sorgen Gehör verschaffen wollen – dass man sie anhört, ohne dass sie bedroht oder erniedrigt werden.

 

 * * * 

 

Der englische Originaltext «J. K. Rowling Writes about Her Reasons for Speaking out on Sex and Gender Issues» findet sich in voller Länge auf ihrer Website «jkrowling.com»

(jkrowling.com/opinions/j-k-rowling-writes-about-her-reasons-for-speaking-out-on-sex-and-gender-issues/)

 

Wenn man zum Thema Debatten-Kultur unabhängig von Rowling weiterlesen will, empfehle ich ein Buch, das inzwischen in der 6. Auflage erschienen ist, was belegt, dass das Thema an Relevanz nichts eingebüßt hat seit seinem ersten Erscheinen 2017:


Patsy l’Amour laLove [Hg.]: Beißreflexe – Kritik an queerem Aktivismus, autoritären Sehnsüchten, Sprechverboten, Querverlag 2022.

(querverlag.de/beissreflexe/)

 

Den Wortlaut der Twitter-Kommentare von Maya Forstater habe ich hier gefunden: «Maya Forstater siegt vor Gericht!», Emma, 11. 6. 2021

(emma.de/artikel/maya-forstater-siegt-vor-gericht-338699)

 

Und beim Recherchieren bin ich auf diesen Artikel gestoßen, der mir auch gut zu passen scheint: «Ein Penis ist ein männliches Genital!», Schwulissimo, 3. 10. 2022; ein Interview mit dem geschäftsführenden Vorstand Frank Gommert der Vereinigung TransSexuelle-Menschen e.V.

(https://www.schwulissimo.de/neuigkeiten/trans-verein-kritisiert-aktivisten-queerer-aktivismus-schadet-menschen-mit)

 

Das Simone-de-Beauvoir-Zitat stammt aus der deutschen Ausgabe Das andere Geschlecht – Sitte und Sexus der Frau (aus dem Französischen von Uli Aumüller und Grete Osterwald), Rowohlt 2011.

 


1 Kommentar:

  1. Angelika Waldis6. April 2025 um 08:40

    Bewundernswert, wie sich die gescheite witzige Rowling dem "So-hat-man-sich heute-zu-äussern-Block" stellt. Mutig. Danke für Übersetzung und Moderation!

    AntwortenLöschen